Auf der europäischen Gegenwartsbühne wird das historisch weit zurückreichende schauspielerische Mittel der Theatermaske mit neuen Spielprozessen, Funktionen und Formensprachen versehen. An den Schnittstellen von nonverbalem Theater, Tanz, Figurentheater und Performance verhandeln Künstler*innen Bedeutungen von Maskierung und Demaskierung. Die Theatermaske ist, Ferdinando Taviani zufolge, jedoch kein „anderes Gesicht“, sondern zunächst „die Negation des Gesichts als Körperstelle, an welcher das Innenleben sich bevorzugt und besonders sichtbar – beinahe sofort – manifestiert, so dass wir instinktiv glauben, dass das Gesicht nicht ebenso leicht täuschen kann wie Worte oder Handlungen.“

Das Artefakt Maske – das, wenn es das menschliche Gesicht teilweise oder gänzlich verbirgt, und eine andere Kreatur zeigt, zugleich als Impulsgeber für Schauspielende agiert – ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts in seiner Erscheinungsform mal eine Anlehnung an Renaissance-Halbmasken, mal eine seriell gefertigte und auf der Bühne dutzendfach eingesetzte Neutralmaske, oder auch eine ephemere Grimasse aus formbarer Materie, die sich über den gesamten Körper erstreckt.

Verhandlungsgegenstände sind, in diesen Bühnenpraktiken und -ästhetiken, Identität und Alterität, Wahrnehmungs- und Körperschemata, Verhältnisse zwischen Menschlichem und Nichtmenschlichem, Kontrolle und Kontrollverlust, Transformation, das Montieren von belebtem Leib und animiertem (bzw. animierendem) Ding.

Zwei Herangehensweisen zur Illustration: Der Choreograph Christian Rizzo lässt in seinen Arbeiten die Materialität der Masken sprechen: „Mit einer Maske aus Hackfleisch oder aus Perlen wechsle ich vom Thema der Identität zur Problematik der Entität, der Gemeinschaft.“ Olivier de Sagazan (Biologe, bildender Künstler und Performer) hingegen modelliert auf seinem eigenen Gesicht „entstellende“ Lehmmasken, deren Entstehungs- und Zerstörungsprozess an rituelle Abläufe appelliert: „I don’t believe in spirits or other worlds, but conversely for me a performance is a vital gesture in that it represents a means to question my identity in the world. I want to reveal all the enigma of a face, and thus of the Being which animates it. For me, disfigurement in art isn’t a hostile act towards life: conversely, the effacement is a measure of loss and the transformation a measure of strength.”

In dieser Lehrveranstaltung wird die Theatermaske zunächst historisch und begrifflich kontextualisiert, und anschließend bezüglich ihrer gegenwärtigen Erscheinungsformen und Funktionen untersucht. Methodisch wird einerseits mit der Analyse von (theater-)theoretischen Texten und Bildmaterial gearbeitet, andererseits werden die Teilnehmer*innen die Wirkung verschiedener Maskierungen auf Spielende und Zuschauende in Form von angeleiteten praktischen Übungen und Improvisationen erproben und in Worte fassen.

Semester (Course overview): 2025W